Knapp vier Monate nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind Angst und Verunsicherung auch unter Juden in Deutschland groß. «Jüdische Menschen überlegen sich im Moment zweimal, ob sie sich in der Öffentlichkeit als solche zeigen wollen», sagte der Frankfurter Rabbiner Avichai Apel der Deutschen Presse-Agentur.
Sie gingen nicht mehr mit Kippa auf die Straße, sagten bei Gesprächen nicht mehr, dass sie jüdisch seien oder wollten Post der jüdischen Gemeinde nicht mehr mit deren Absender erhalten. Für größere Feierlichkeiten würden Sicherheitsdienste beauftragt.
Das Schweigen großer Teile der Zivilgesellschaft, der Kirchen und teilweise auch der Politik unmittelbar nach dem Massaker und der Verschleppung von mehr als 250 Geiseln in Israel am 7. Oktober habe große Verunsicherung ausgelöst. «Die Menschen fragen sich, wem sie trauen können», sagte Apel, der auch einer der Vorsitzenden der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland ist.
«Da muss man sich schon bei den vielen Beteuerungen des "Nie wieder" manchmal fragen, wie viel Zukunft jüdisches Leben dann noch hat. Das finde ich traurig und hoffe, dass die Gesellschaft nun nachhaltig aufwacht und gegen diesen Antisemitismus genauso aufsteht, wie sie gegen Rechts aufsteht», sagte Apel.
Der wachsende Antisemitismus betreffe auch Kinder. Es gebe zwar schon viele Anstrengungen im Kampf gegen Judenhass, doch offensichtlich reichten diese nicht aus. Vor allem jungen Menschen in Schulen, Bildungseinrichtungen oder anderen öffentlichen Einrichtungen müsse mehr über jüdisches Leben und eine neutrale Perspektive des Nahostkonflikts vermittelt werden.
Zu wenige Schulen hätten sich klar zu Israel bekannt. Lehrer hätten gesagt, sie wollten sich nicht zu dem Massaker äußern. «Nach dem Angriff auf die Ukraine war überall die blau-gelbe Flagge zu sehen, nach dem Angriff auf Israel war dies nicht der Fall», sagte Apel. Die deutliche Positionierung der deutschen Regierung sowie die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen für die jüdischen Gemeinden seien im europäischen Vergleich positiv hervorzuheben.
Juden brauchten einen eigenen Staat zu ihrem Schutz, das lehre die Geschichte. Apel kritisierte auch, dass sich Frauen- und Kinderhilfsorganisationen trotz der Berichte über brutale sexuelle Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen am 7. Oktober und danach nicht klar positioniert hätten.