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«Codename Kräutergarten»: Filmprojekt zu SS-Plantage

Der Ort ist fast vergessen. Ebenso seine Geschichte: Der «Kräutergarten» beim einstigen KZ Dachau. Ein Dokumentarfilmer will nun darüber erzählen - und auch den Bogen zum Heute schlagen.
Kräutergarten am KZ Dachau
Im sogenannten «Kräutergarten» beim ehemaligen Konzentrationslager stehen verfallene Gewächshäuser. © Stefan Puchner/dpa/Produktion

Es klingt nach Idylle und Häuslichkeit: «Kräutergarten» nannte die SS den landwirtschaftlichen Betrieb beim Konzentrationslager Dachau. Für die Häftlinge, die dort Zwangsarbeit leisten mussten, war es allerdings alles andere als schöne Gartenarbeit. Der bayerische Regisseur Walter Steffen («Endstation Seeshaupt») will nun über die berüchtigte Plantage am KZ Dachau aufklären. Am Samstag wurde in dem historischen «Kräutergarten» bei Dachau gedreht. Nur ein paar verfallene und zugewucherte Gewächshäuser erinnern an das, was vor Jahrzehnten geschah - ein fast vergessenes Kapitel der NS-Gewaltherrschaft.

Der Film soll bei der Berlinale 2025 Premiere feiern und zum 80. Jahrestag der Befreiung in die Kinos kommen, wie Steffen erläuterte. Unter dem Titel «Codename: Kräutergarten» folgt er dem Schicksal des katholischen Priesters Korbinian Aigner, der wegen seines Widerstandes gegen die Nazis 1941 ins KZ Dachau kam und dort wie andere Häftlinge ohne ausreichende Kleidung, unterernährt und misshandelt auf der gefürchteten «Plantage» zur Arbeit gezwungen wurde.

Unter unmenschlichen Bedingungen wurden bei diesem Arbeitskommando nach biodynamischen Methoden Kräuter und Gewürze angebaut: zur «Gesundung des deutschen Volkskörpers» - mit der gleichzeitigen Zielsetzung von «Vernichtung durch Arbeit», wie die Macher des Films erläuterten.

Nach Vorstellung des SS-Reichsführers Heinrich Himmler sollten laut der KZ-Gedenkstätte Dachau Anbau und Erforschung von Heil- und Gewürzkräutern den NS-Staat unabhängig von ausländischen Medikamenten und Gewürzen machen. Die Etablierung einer naturverbundenen «Volksheilkunde» sei ein vom Reichsführer SS gefördertes Prestigeprojekt der NS-Gesundheitspolitik gewesen. Für den Betrieb der Versuchsgüter war die 1939 gegründete SS-eigene «Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH» zuständig. Dass es den Nazis nach außen um Gesundheit ging, sie aber dafür Menschen teils bis zum Tode schinden ließen, sei besonders infam und unfassbar, sagt Regisseur Steffen.

Er lässt im Film auch Menschen zu Wort kommen, die sich um Erinnerungs- und Friedensarbeit kümmern: deutsche und israelische Jugendliche, die Zeitzeugen Abba Naor und Nick Hope, die sich als ehemalige Häftlinge des KZ Dachau der Versöhnung verschrieben haben, und den evangelischen Pfarrer Björn Mensing, der in der Versöhnungskirche in Dachau als Seelsorger und Historiker wirkt.

Einen Part im Film hat auch der österreichische Jazzmusiker Harri Stojka, der sich für die Kultur der Sinti und Roma einsetzt und dessen Großvater als Angehöriger der Roma von den Nazis ermordet wurde. Nur wenige seiner einst etwa 200-köpfigen Familie überlebten. Am Samstag war Stojka beim Drehtermin erstmals an der Stätte, an der sein Großvater geschunden wurde. «Wenn ich bedenke, dass hier auf jedem Quadratmeter die Hölle passiert ist, und ich hier stehe, dann muss ich aufpassen, dass ich nicht unter die Räder komme gefühlsmäßig», sagte er. Vor dem Bild seines Großvaters hatte er am Freitagabend mit seiner Band in Stegen am Ammersee ein umjubeltes Konzert gegeben, Titel: «Tribute For My Family». Der Mitschnitt soll Teil des Films werden.

Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, sagte am Rande des Konzerts, die Erinnerung wachzuhalten, sei ein wichtiges Element auch im Kampf gegen den zunehmenden Rassismus. Mancher, der vielleicht schon antisemitisch eingestellt war, rechtfertige seine Haltung nun mit dem Gaza-Krieg. Auch die Übergriffe gegen Sinti und Roma haben laut Rose massiv zugenommen. Demnach haben sie sich binnen Jahresfrist fast verdoppelt. Es gebe Tendenzen, die Vergangenheit zu verharmlosen, warnte Rose. «Das dürfen wir nicht zulassen.»

Nach dem Krieg verfielen die Anbauanlagen des «Kräutergartens». Etwa neun Zehntel des im Besitz der Stadt Dachau befindlichen Geländes wurden nach und nach als Industriegebiet verkauft. Nun laufen Bemühungen, das restliche Gelände mit den Gewächshausruinen zugänglich zu machen.

«Wir sind interessiert, den «Kräutergarten» für die Besucher zu erschließen», sagte der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, der Deutschen Presse-Agentur. Die Vorbereitungen seien komplex. Derzeit liefen Bodenuntersuchungen. Sofern keine Belastungen gefunden werden, könnte das Gelände in den Besitz der Stiftung übergehen. «Dann wollen wir uns um eine rasche Öffnung kümmern.» Bis das gesamte Gelände umfangreich als Besucherort gestaltet sei, werde es aber Jahre dauern. «Es ist ein historischer Ort, an dem viele Menschen sehr gelitten haben», sagte Freller.

Der Film greift zentral den Umgang des Priesters Aigner mit seiner KZ-Gefangenschaft auf. Trotz der Bedrohung durch die SS sei es ihm gelungen, zwischen den Baracken des KZ neue Apfelsorten zu züchten und die Setzlinge aus dem Lager zu schmuggeln, berichtet Filmemacher Steffen. Für Aigner sei es eine Möglichkeit gewesen, dem mörderischen Abgrund neues Leben entgegenzusetzen. So habe er selbst überleben können. «Das ist für mich ein großes Symbol», sagt Steffen. Bis heute werde der Korbinian-Apfelbaum weltweit als Erinnerungsbaum an Gedenkstätten und anderen Orten gepflanzt - ein Symbol gegen das Vergessen.

© dpa ⁄ Vion Sabine Dobel, dpa
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