In zahlreichen Städten in Hessen haben am Wochenende erneut Tausende gegen Rechtsextremismus demonstriert. In Kassel sprach die Polizei von etwa 5000 Teilnehmenden, in Darmstadt wurden rund 3000 Menschen gezählt. Weitere Kundgebungen gab es in Bad Hersfeld, Bad Nauheim und Wetzlar. Auch am Sonntag sollte der Protest fortgeführt werden, beispielsweise im mittelhessischen Lich. Bereits am vergangenen Wochenende hatten Zehntausende in Hessen gegen Hass und Hetze demonstriert.
An diesem Montag (17.00 Uhr) ist in Frankfurt erneut eine große Kundgebung am Römerberg mit zehntausenden erwarteten Teilnehmerinnen und Teilnehmern geplant. Bis Sonntagnachmittag schlossen sich mehr als 130 Organisationen dem Aufruf unter dem Titel «Frankfurt steht auf für Demokratie» an, wie die Organisatoren mitteilten. Dazu zählen Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine, Verbände, Bildungseinrichtungen, Initiativen und Frankfurter Parteien. Zu den erwarteten Rednern zählen Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) und der Publizist und Talkmaster Michel Friedman.
Seit gut drei Wochen gehen immer wieder Tausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße in Deutschland. Auslöser ist eine Recherche des Medienhauses Correctiv zu einem Treffen radikaler Rechter mit einzelnen Politikern von AfD, CDU und Werteunion in Potsdam. Dort hatte der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über das Konzept der «Remigration» gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.
Entsteht langfristige Protestbewegung?
Die Demonstrationen könnten nach Einschätzung des Protestforschers Tareq Sydiq in eine langfristige Bewegung münden. Ein Anzeichen dafür sei, dass bereits seit knapp einem Monat immer wieder tausende Menschen in zahlreichen Städten auf die Straßen gehen. Entscheidend sei aber auch, ob sich die Teilnehmenden zu Bündnissen zusammenschließen und sich auf gemeinsame Ziele und Strategien verständigen, sagte Sydiq der Deutschen Presse-Agentur. Der promovierte Politologe ist Mitarbeiter des Zentrums für Konfliktforschung an der Marburger Philipps-Universität und auf politische Partizipation und soziale Bewegungen spezialisiert.
Überrascht habe ihn, dass es schon wenige Tage nach den Correctiv-Enthüllungen deutschlandweit zu großen Demonstrationen kam. Auch die teils starke Mobilisierung im ländlichen Raum habe ihn beeindruckt, sagte Sydiq. Mögliches Vorbild könnten die Demonstrationen während der 1990er-Jahre sein, sagte der Wissenschaftler. Sie hätten viele Menschen dazu bewegt, sich für Geflüchtete zu engagieren und brachten somit langfristige Effekte hervor.
Auch die jetzigen Proteste könnten solch eine politisierende und demokratiefördernde Wirkung entfalten. Zwar sei noch keine klare Zielsetzung zu erkennen - einen Erfolg könnten die Demonstrierenden aber schon jetzt für sich verbuchen: Mit ihrem Zeichen gegen rechts hätten sie einen «gewissen Narrativ-Wechsel» erzeugt, indem nun nicht ständig über Inhalte der AfD gesprochen werde, «sondern dass man über Rechtsextremismus in der AfD spricht», sagte Sydiq.