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Kritik an Lage im Maßregelvollzug: Laut Ärztekammer Kollaps

Dort werden psychiatrisch auffällige Straftäter untergebracht: Berlins Maßregelvollzug ist überbelegt und personell unterbesetzt. Der Ärztekammerpräsident will, dass der Regierungschef eingreift.
Maßregelvollzug Berlin
Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs Berlin. © Jörg Carstensen/dpa/Archivbild

Die Situation im Berliner Maßregelvollzug, wo psychiatrisch auffällige Straftäter untergebracht werden, ist aus Sicht der Berliner Ärztekammer nicht mehr tragbar. «Man kann es nicht anders sagen: Es ist der Kollaps eines ganzen Krankenhauses. Und eines Krankenhauses, das verdammt wichtig ist für unsere Stadt und für die Sicherheit aller», sagte Kammerpräsident Peter Bobbert der Deutschen Presse-Agentur.

Überbelegung, zu wenig Personal und Jahrzehnte alte Räumlichkeiten führten im Maßregelvollzug zu einer «menschenunwürdigen Situation». Bobbert sagte: «Jedes andere Krankenhaus wäre in so einer Situation schon längst geschlossen worden.» Das Ziel, Menschen so zu therapieren, dass sie nach ihrer Freilassung keine Gefahr mehr darstellten, sei in dem Umfeld nicht mehr erreichbar.

Auch für Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) ist die Lage inakzeptabel. Aufnahmeersuchen der Staatsanwaltschaft würden seitens des Krankenhauses des Maßregelvollzugs nicht entsprochen - weder aktuell noch perspektivisch. «Hier muss dringend entgegengesteuert werden. Das ist ein Zustand, den niemand haben will», sagte die Senatorin dem «Tagesspiegel»

In den Maßregelvollzug kommen Straftäter, wenn ein Gericht sie als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank einstuft. Sie verbringen dort teils mehrere Jahre. Schon im Januar 2023 hatte die Ärztekammer von erschreckenden und nicht länger hinnehmbaren Zuständen gesprochen.

Wegen Platzmangels Straftäter entlassen

Wegen des Platzmangels kamen laut Berliner Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr 21 Straftäter zunächst auf freien Fuß. Aktuell droht dies in fünf Fällen, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Donnerstag sagte.

Die betroffenen Straftäter befinden sich derzeit in der sogenannten Organisationshaft im regulären Gefängnis bis ein Behandlungsplatz im Maßregelvollzug frei wird. Dabei darf eine bestimmte Zeitspanne jedoch nicht überschritten werden, sodass eine Entlassung droht.

Die Berliner Einrichtung ist seit Jahren überlastet. Mit dem Problem ist die Hauptstadt aber nicht allein. Auch in anderen Bundesländern gibt es Kapazitätsprobleme im Maßregelvollzug. Die Zahl der Straftäterinnen und Straftäter, die bundesweit in einer Entziehungsanstalt untergebracht sind, ist deutlich gestiegen.

Die Kliniken beklagen zunehmend, dass aufgrund von Gerichtsurteilen bei ihnen Straftäter landen, die dort nicht richtig aufgehoben sind. Teils würden sie sogar die Therapie wirklich behandlungsbedürftiger Menschen behindern.

Gefahrenanzeige und Brandbrief

In Berlin verschickten mehrere Abteilungsleiter des Maßregelvollzugs vor gut einer Woche eine Gefahrenanzeige unter anderem an die Krankenhausleitung, in der sie festhielten, unter gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr die Verantwortung übernehmen zu können.

In dem Schreiben, über das am Mittwoch der «Tagesspiegel» berichtete und das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es: Es sei zunehmend «unmöglich» geworden, die erforderliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Aufnahmekapazitäten seien erschöpft. Die Gefahrenlage verschärfe sich von Woche zu Woche, die Sicherheit von Personal wie Patienten sei erheblich in Gefahr.

Laut «Tagesspiegel» ging zudem ein Brandbrief des Personalrates an Regierungschef Kai Wegner (CDU).

Der Berliner Ärztekammerchef dringt auf Sofortmaßnahmen: «Der Regierende Bürgermeister muss das Thema zur Chefsache machen. Er muss entscheiden und handeln.» In den vergangenen Jahren seien immer wieder Ankündigungen gemacht worden. «Was jetzt zählt, sind schnelle Handlungen. Heute. Und nicht erst morgen.»

Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, reichten Worte der Wertschätzung nicht mehr aus: «Man muss jetzt auch finanzielle Anreize schaffen, sonst ist das Aufrechterhalten der Arbeit dort gar nicht mehr möglich.» Außerdem würden neue Räumlichkeiten und die Personalstruktur dazu gebraucht.

Mehr Mittel und Sanierung geplant

Die Senatsgesundheitsverwaltung teilte mit, dass zum Jahresende 2023 von 610 Stellen 514 besetzt gewesen seien. Derzeit würden 626 Patienten versorgt, bei 549 Planbetten. Die «Sachverhalte» seien bekannt und man arbeite intensiv an Lösungen.

Der neue Senat setze einen Masterplan des Vorgängersenats weiter um. Vorgesehen seien insbesondere eine Sanierung und Erweiterung des Standorts. Die Mittel für den Maßregelvollzug steigen laut der Behörde von 67,7 Millionen Euro 2023 auf 83,3 Millionen Euro 2024 und auf 89,2 Millionen Euro im Jahr 2025. Auch um Personalgewinnung sei man «hochgradig bemüht».

Man brauche jetzt akut Hilfe und nicht erst 2030 oder 2040, sagte hingegen einer der Personalräte bereits vor einigen Tagen in der RBB-«Abendschau».

© dpa
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